U. v. Beckerath,

 

4.9.1956.

 

Ihr Brief vom 7.VII., 31.VII., 31.VIII., eingegangen gestern.

 

      Lieber Herr Dr. Runge,

 

dass meine kleine Arbeit ueber die Aufwertungs-Politik Friedrich's II. noch nach so viel Jahren Interesse finden koennte, hatte ich s.Zt. nicht vermutet. Ich lege Ihnen hier noch 3 Expl. bei - - keine Rueckgabe - - und wenn Sie damit fuer den Alten Fritzen Reklame machen koennen, soll's mich freuen.

      Von einer weiteren Arbeit von mir ueber die Geldpolitik des alten Herrn hat sich leider nichts erhalten. Nachdem der 7-jaehrige Krieg vorbei war, und der Koenig einigermassen zur Besinnung kam, da wurde ihm noch klarer als frueher, welchen Einfluss im Kriege, so wie er damals gefuehrt wurde, das Geld hatte. Er begriff auch, sehr intelligent wie er war, dass ein relativ armes Land, wie Preussen, ungenuegend mit Gold und mit Silber versehen, hier zwei Wege gehen konnte:

 

l.) sich durch eine entsprechende Handelspolitik soviel Edelmetall verschaffen wie moeglich. Hier waren ihm Grenzen gezogen, denn den Merkantilismus betrieben damals alle Regierungen gegen alle anderen, oder

 

2.) sich von dem Vorrat an Edelmetall ganz unabhaengig zu machen, so dass die obere Grenze der Leistungsfaehigkeit der Untertanen ihre Arbeitskraft und ihr Vorrat an Rohstoffen war, nicht aber der Vorrat an umlaufender Currency.

 

      Von den nur fuer den Krieg passenden (von andern Regierungen allerdings auch im Frieden ausgeuebten) Methoden, will ich hier nichts sagen: Requisitionen, Brandschatzungen der "feindlichen" Untertanen, Muenzverschlechterungen. Ueber letzteres Mittel spricht F. in seinen Memoiren; er meint, wirtschaftlich und moralisch sei das Mittel zu verurteilen, aber im Kriege bliebe manchmal nichts anderes uebrig. (Hier irrte er.)

      Wie man sich von dem Vorrat an Edelmetall-Currency unabhaengig machen kann, erfuhr er durch seinen Hamburger Geschaeftstraeger. (Namen vergessen.) Der wies ihn auf die Hamburger Girobank hin. Hier wurden taeglich grosse Betraege durch Aufrechnung gezahlt. Der Silbervorrat der Bank haette eigentlich gar nicht da zu sein brauchen. Letzteres glaubten zwar die Hamburger selbst nicht, aber als i.J. 1813 Marschall Davoust das Banksilber einfach wegnahm, es ausmuenzen liess und damit seine Kriegskosten bezahlte, trotzdem aber das Bank-Clearing ebenso funktionierte wie vorher, begriffen wenigstens einige Hamburger (bei weitem nicht alle) das Wesen einer voellig bargeldlosen Aufrechnung.

      Das Prinzip der Aufrechnung begriff der Koenig vollkommen, aber in die Technik konnte er sich nicht recht hineindenken, offenbar verwirrt durch die damals allgemeine Meinung (des Geschaeftstraegers und sogar fast aller Hamburger Grosskaufleute), dass es ganz ohne Edelmetall-"Deckung" doch nicht ginge. F. wandte beinahe 100 000 Taler auf, um die Hamburger Geschaeftsbedingungen zu bekommen. (Ich vermute, der Geschaeftstraeger hat sie gratis bekommen - - denn geheim waren sie nicht - - redete aber dem Koenig vor (ein? - J.Z.), dass grosse Bestechungen noetig waren.)

      Nun uebereilte sich der Koenig, erliess ein Gesetz, wonach alle Zahlungen der Kaufleute bargeldlos durch die Preussische Bank zu gehen hatten, bzw. eine ihrer Filialen. Das Gesetz war gut gemeint, aber die preussische Kaufmannschaft kriegte einen Schreck. Man erinnerte sich der ersten, unter seinem Grossvater gegruendeten Versicherungsanstalt. Die nahm zwar Praemien ein, zahlte auch ein paar Schaeden aus, im uebrigen aber war der Versicherungszwang fuer Gebaeude nur eine weitere Steuer zu den vielen schon vorhandenen. (Unter Friedrich Wilhelm I. erfolgte eine gruendliche Reorganisation.) Es erfolgte ein stillschweigender Boykott der Bank durch die Kaufmannschaft. Nach einiger Zeit liess dann F. die Sache fallen und stellte den Status quo wieder her. Wuerde er die Kaufmannschaft aufgefordert haben, sich selbst eine Girobank zu schaffen, wuerde er verordnet haben, dass Guthaben bei der Bank keiner Beschlagnahme unterlaegen und dass unter Kaufleuten Bankschecks wie bares Geld anzunehmen seien, falls nichts anderes vereinbart war, dann wuerde die preussische Verrechnungsbank  wahrscheinlich in ein paar Jahren alle Banken der Welt - - die englische nicht ausgenommen - - an Umfang uebertroffen haben.

Es war hier wie ueberall: der bestgemeinte Zwang erweckt Widerstand. Die Freiheit aber schafft sogar Kapitalien herbei, die der groesste Zwang nicht herbeischafft.

 

      Auffallend ist auch, dass der Koenig das Wesen der saechsischen Steuer-Antizipationsscheine nicht begriff und sie daher nicht nachahmte. Der Sachse, der sie erfunden hatte, der hatte seinen Kurfuersten doch ebenfalls weitgehend vom Vorrat an Edelmetall in Sachsen unabhaengig gemacht. Aber, in der ganzen Welt galt die unbare Zahlung nun einmal als "unsolide"; man hatte vergessen, dass sie vor dem 30-jaehrigen Kriege in Deutschland und anderswo weit verbreitet war.

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      Sie wissen, dass die Vier Gesetzentwuerfe ebenfalls das Ziel hatten, Deutschland vom Vorrat an Edelmetall unabhaengig zu machen, ihm aber gleichzeitig eine eigentliche (Zwangskurs-) Papiergeldwirtschaft zu ersparen.

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      Ich selbst halte die Unabhaengigkeit vom Vorrat an Edelmetall fuer eine der allerwichtigsten, anzustrebenden Sozialreformen.

Ich gehe noch weiter und sage: Auch von den Noten der Zentralnotenbank muss das Volk unabhaengig sein, moegen deren Direktoren noch so laut schreien und ueber die Verletzung ihres Monopols jammern. Als additional currency lasse ich die Zentralbanknoten waehrend einer Uebergangszeit gelten. Im uebrigen aber halte ich mich an die geschichtliche Erfahrung, dass die Versuchung fuer Regierungen unwiderstehlich ist, die Noten der Zentralnotenbank bei der geringsten Verminderung ihrer Einnahmen mit Zwangskurs auszustatten und dann zu inflationieren. Das Recht, Zwangskursgeld abzulehnen, halte ich fuer eines der allerwichtigsten Rechte des Menschen und Buergers.

Unter Zwangskurs-Geldgesetzen stehen ist eine Art Leibeigenschaft.

      Haetten die Franzosen i.J. 1789 unter die 17 damals von Lafayette formulierten Rechte des Menschen und Buergers als 18-tes noch das vorbezeichnete Recht aufgenommen, die Revolution waere anders verlaufen und damit die ganze Weltgeschichte.

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      Warum arbeiten Sie nicht einmal selbst etwas ueber das Thema aus:

"Entspricht Zwangskurs-Papiergeld der Forderung: Fuer Deutschland ist das beste Geldsystem gerade gut genug!"?

      Ich verspreche Ihnen, dass Ihre Depression wie weggeblasen ist, wenn ein Aufsatz von Ihnen mit diesem Thema Beachtung findet.

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      Sie sagen: Nur die M a c h t regiert die Welt! Erlauben Sie, dass ich dieser, so allgemeinen Meinung ein Zitat aus dem Buch des Professors Carl J. Friedrich (Harvard), einem Freund und Studiengenossen Rittershausen's entgegenhalte:

      "It is the beauty and the terror of a revolutionary age such as ours that theories are probably the most inportant 'facts' altogether." ("The New Belief in the Common Man", wahrscheinlich in der Buchhandlung Winter in Heidelberg zu haben.) Ein ganz prachtvolles Buch mit ganz neuartigen Einsichten. Anschaffung d r i n g e n d empfohlen.

 

(J.Z.: The quote is from page 49. The Vermont Printing Co., July 1942, Jan. 43, Feb.45, Nov. 49.)

 

      Welche Macht hatte Mohammed zu Beginn seiner Propaganda? Keine! Aber seine Idee befaehigte ihn, ganz Arabien zu erobern und noch ein paar Provinzen ausserhalb.

      Welche Macht hatte die NSDAP, als Hitler ihr als 7-tes Mitglied beitrat? 0,0. Aber die Idee, so schlecht sie war, war immerhin eine Idee, waehrend Bruening und seine Leute keine Idee hatten.

      Welche Macht hatten die halbverhungerten, russischen Studenten in Genf, die s.Zt. die sozialistischen Programme ausarbeiteten - - schlecht genug - - aber eine Idee steckte dahinter, und das grosse, maechtige Zarenreich musste  vor dieser Idee kapitulieren.

      Lehre: Sogar schlechte Ideen sind noch maechtiger als der Mangel an Ideen. Nur geschieht die "Machtergreifung" nicht sofort. Eine etablierte Macht aber handelt auf der Stelle. Dadurch ueberschaetzt sie sich selbst und wird von anderen ueberschaetzt.

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Sie meinen, die Russen gehen friedlich mit uns um, weil sie Angst vor uns haben. Mein Eindruck ist das nicht. Vor den Amerikanern haben (oder hatten) sie Angst. Vor den Deutschen gewiss nicht. In drei Tagen besetzen sie Deutschland, wenn es ihnen passt, und in 10 Minuten vernichten sie durch 5 Atombomben alles Leben in Deutschland - - Regenwuermer eingeschlossen - - wenn es ihnen passt. Aber Ideen stuerzen auch den Bolschewismus, wenn es gelingt, sie zu verbreiten. Aber: Welche Zeitung, welche Zeitschrift und welcher Verleger wagt heute Ideen zu verbreiten, so neu und tiefgehend, wie es unvermeidlich die Ideen sind, die eines Tages dem Bolschewismus und den Bolschewisten das Schicksal bereiten, das nach der Hinrichtung Robespierre's (28. Juli 1794) den Jakobinismus und die Jakobiner getroffen hat?

Hippolyte Taine schaetzt die Opfer des "weissen Schreckens" auf mehr als 500 000, viel mehr als der "rote Schrecken" umgebracht hat. Beiden Schreckensarten lagen Ideen zum Grunde. Gerade jetzt ist die Geschichte der Franzoesischen Revolution mal wieder meine Einschlaflektuere. Es gibt kaum etwas Lehrreicheres.

      Wenn Sie mal den Zusaumnhang zwischen Geld-Idee, Geld-Praxis und Franzoesischer Revolution studieren wollen, so wird Ihnen das Buch von Dr. R. von Ungern-Sternberg,"Geldwertschwund, sozialer Friede und Staatsgefuehl", Verlag E. Phillipp's Buchhandlung, Frankenstein in Schlesien, ohne Jahr, wahrscheinlich 1927, allerlei bieten.

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      Zum letzten Satz auf Seite 1 Ihres Briefes: Die Loehne muessen nach der deutschen Gewerbeordnung in bar aufgebracht werden. Die Bank deutscher Laender aber wird einen Grossindustriellen, der Lohngelder braucht, schwerlich im Stich lassen.

Hier liegt beim gegenwaertigen Notenmonopolsystem der Zwang, immer mehr Noten auszugeben, als zurueckstroemen. Der Rueckstrom ist langsam und unvollkommen; der Bedarf an Lohngeldern aber ist binnen Stunden zu befriedigen und steigt kontinuierlich (beim System, wie es jetzt ist).

 

(J.Z.: Einer der Gruende, weil der Rueckstrom unvollstaendig ist, ist die Hortung von Noten als "Devisen - Deckung" durch auslaendische Zentralnotenbanken. - J.Z., 29/8/83.)

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      J.P. Jacobsen, einer der allerbesten Schriftsteller, lobt auf Seite 62, Zeile 4 von unten des hier beigelegten Bandes 2 seines Briefwechsels, das Chinin als Stimulans. Auszuprobieren!!

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Mit bestem Gruss

U.v.Beckerath.

gez.: Bth.

 

 

 

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First published in: Ulrich von Beckerath: Zur Freiheit, zum Frieden und zur Gerechtigkeit; Gesammelte Briefe, Papiere, Notizen, Besprechungen. PEACE PLANS 428-467 (Mikrofiche), Berrima, Australia, 1983. Pages 3545-3547.